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DAS GEHEIMNIS DER ERFOLGREICHEN DIGITALISIERUNG OPTIMIERUNG ODER TRANSFORMATION?
Haben Sie eigentlich ein De-Mail Konto? Es sollte das (rechts-)sichere Mail Konto werden und sich im täglichen Leben etablieren. Die Deutsche Post wäre demnach heute zumindest im Briefsektor praktisch arbeitslos gewesen. Ein weiteres Beispiel für ein gescheitertes Digitalisierungsprojekt ist der neue Personalausweis. Vor 10 Jahren wurde er in Deutschland eingeführt und sollte eine Revolution auslösen. Zahlreiche Digitalisierungsprojekte haben leider nicht das eingebracht, was eigentlich versprochen wurde. Teilweise endeten sie sogar im kompletten Desaster. Die BBC beispielsweise beendete ein Digitalisierungsprojekt nach fünf Jahren und rund 100 Millionen Pfund Kosten, welches sämtliche Arbeitsabläufe vollständig digitalisieren und eine einheitliche digitale Produktionsplattform bereitstellen sollte. Trotzdem bleibt die Digitalisierung als die Maxime in aller Munde. Nun also die Antwort auf die Frage, worauf man bei der Digitalisierung achten sollte, damit sich aus den bestehenden Raupen-Abläufen durch die digitale Transformation auch wirklich ein Schmetterlings-Prozess entwickeln kann.
Zeithorizont und Budget beachten
Der Klassiker bei sämtlichen Projekten: Hat man erst einmal bei der Digitalisierung Blut geleckt, wird das Projekt schnell sehr groß oder sogar zu groß. Alle Beteiligten sollten beim Kick-Off-Meeting sowohl die Erwartungen, den Zeithorizont als auch das Budget klären. Es lohnt sich hier, wenn das Projekt in mehrere Teilprojekte untergliedert wird. Diese sollten ggf. auch unabhängig voneinander durchgeführt werden können oder aufeinander aufbauen. Das Digitalisierungsprojekt der BBC ist meines Erachtens ein mögliches Beispiel für ein zu groß geratenes (Einzel-)Projekt. Wenn alle Arbeitsabläufe vollständig digitalisiert und die Produktion auf eine neue einheitliche Produktionsplattform verlagert werden soll, dann klingt das Projekt zu groß. Meistens sieht man hier sehr lange keine Fortschritte und wenn sich das Projekt dann noch verzögert, besteht die Gefahr, dass alles weggeworfen wird (Man muss ja kein gutes Geld dem schlechten hinterherwerfen). Sind durch den Kick-Off die Erwartungen geklärt, kann in einem Folgemeeting die Projektgruppe den Stakeholdern das Projekt und den Ablauf vorstellen. Hat man sich auf eine gemeinsame Basis geeinigt, kann es losgehen!
Automation und Flexibilität abwägen
Eines der großen Ziele der Digitalisierung ist die Automation. Die neu geschaffenen Prozesse sollen im Hintergrund laufen und somit die Arbeit übernehmen. Daher sollten die Prozesse so beschaffen sein, dass sie beliebig skaliert werden können und keine manuellen Eingriffe notwendig, sehr wohl jedoch möglich sind. Ist die Möglichkeit eines manuellen Eingriffs nicht vorgesehen, besteht die Gefahr, dass die Prozesse sehr starr werden. Dies ist häufig bei größeren Unternehmen ein bekanntes Problem. Wussten Sie, dass es nach einem abgeschlossenen Mobilfunkvertrag, bei dem das Handy bereits ausgeliefert wurde, einfacher ist, den Vertrag zu stornieren und das Handy zurückzuschicken und einen neuen Vertrag abzuschließen, als eine Änderung am Vertrag durchzuführen? Der Prozess lässt hier keine manuellen Änderungen zu und ist somit zu starr. Es sollte daher genau darauf geachtet werden, dass zum einen die Prozesse entsprechend überwacht werden und zum anderen immer noch so flexibel gestaltet sind, dass ein manueller Eingriff möglich ist.
Prozesse vor der Digitalisierung überprüfen
„Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess“, Thorsten Dirks, 2015, ehemaliger CEO Telefónica Deutschland. Die Worte sind sehr drastisch gewählt. Sie beschreiben aber treffend den am häufigsten gemachten Fehler. Im Rahmen einer neuen Digitalisierungsoffensive werden die bestehenden Prozesse 1:1 in einer neuen digitalen Technologie abgebildet. Nur weil man im noch bestehenden Ablauf ein Fax an den Rechnungsempfänger geschickt hat, muss dies nicht zwangsläufig bedeuten, dass es einer Revolution gleichkommt, wenn nun das Fax automatisiert über das Netzwerk verschickt wird. Wenn das Projekt wirklich gelingen soll, ist es unerlässlich, die bestehenden Prozesse auf Sinnhaftigkeit, mögliche Flaschenhälse und Effizienz zu überprüfen. Nur so kann gewährleistet werden, dass durch die neuen Abläufe auch die erhofften Potenziale erschlossen werden können. In diesen Prozess sollte unbedingt auch die entsprechende Fachabteilung einbezogen werden, damit nicht am Anwender vorbeientwickelt wird.
Nutzen und Bereitschaft der Anwender kritisch prüfen
Oftmals versprechen Digitalisierungsprojekte eine Revolution. Alles soll einfacher, schneller und besser werden. Erinnern Sie sich noch daran, wie vor 10 Jahren der neue digitale Personalausweis im Scheckkartenformat eingeführt wurde? Nicht wenige Bürger haben kurz vorher noch einmal den alten Personalausweis beantragt, um nicht den neuen haben zu müssen1. Mit diesem Ausweis wurde es möglich, sich im Internet auszuweisen. Es wurden mehr als eine halbe Millionen Kartenleser kostenlos verteilt, damit die technische Voraussetzung zur Nutzung des neuen Personalausweises ohne zusätzliche Kosten gegeben ist. Sicherheitsbedenken der Bevölkerung, große Schwierigkeiten mit der Software und mangelnde Anwendungsmöglichkeiten sorgten dafür, dass der neue Personalausweis in der Onlinefunktion auch heute nur sehr selten genutzt wird.
Daher sollte bei einer Digitalisierungsoffensive genau geprüft werden, ob die Voraussetzungen vorhanden sind, damit das Projekt auch zu einem Erfolg wird. Können die potenziellen Nutzer nicht durch eine Anweisung dazu gebracht werden, die neue Technologie anzunehmen, muss der Nutzen derart groß sein, dass die Anwender die Technik freiwillig benutzen wollen. Dies ist nur möglich, wenn auch die Anwender vor der Entwicklung einbezogen und nicht an ihnen vorbeientwickelt wird. Leider hört man viel zu häufig Sätze wie: „Ja, hätten die uns mal gefragt!“ Nur wenn alle Stakeholder die Chancen begreifen und die Möglichkeit bekommen sich einzubringen, ist der Weg frei für die Digitalisierungsautobahn.
Rückschläge und Startschwierigkeiten einkalkulieren
Es soll diese Projekte geben – die Projekte, die „in time“, „in quality“ und „in budget“ sind. Diese Projekte sind aber anders geplant als die, die scheitern. Hierbei gibt es fast keinen Unterschied zwischen Bauprojekten (z.B. Hauptstadtflughäfen, Elphi oder auch Stuttgart 21) und IT-Projekten. Bei Letzteren wird geschätzt, dass nur knapp die Hälfte aller Projekte erfolgreich sind und sogar jedes fünfte Projekt komplett abgebrochen wird. Als Hauptursache werden sowohl unklare Zielstellungen als auch unrealistische Zeitvorgaben ausgemacht.2 Zudem wird ein Scheitern wahrscheinlicher, je größer die Komplexität ist.
Es lohnt sich also, dem Projekt eine klare Anforderungsanalyse und eine wohlwollende Zeitplanung zukommen zu lassen. Es kommt sehr häufig vor, dass sich die Anforderungen während der Implementationsphase ändern. Hier sollte genug Puffer eingeplant werden, um entsprechend gerüstet zu sein für solche Veränderungen.
Daten effektiv zur Steuerung nutzen
Daten sind das neue Gold. Haben Sie diesen Schatz schon gehoben? „If you can’t measure it, you can’t improve it“, Peter Ducker. Dieser Leitsatz gilt als einer der wichtigsten Grundsätze des Managements. Die Digitalisierung bietet uns geradezu grenzenlose Möglichkeiten die Prozesse zu überwachen und in Zahlen auszudrücken. Dies ist als Grundlage zur Steuerung der Prozesse unverzichtbar. Wie viele Anfragen gingen ein? In welcher Zeit wurden sie bearbeitet? Wie viele Anfragen sind noch offen? Wenn Sie mit einem Klick alle notwendigen Zahlen abrufen können, dann können sie auch schnell reagieren, wenn die Zahlen aus einem bestimmten Intervall abweichen. Achten Sie nicht nur darauf, die Prozesse zu digitalisieren. Definieren Sie KPI’s und lassen Sie diese automatisiert auswerten.
Optimierung oder Transformation?
Natürlich könnten Raupen-Prozesse verbessert werden. Man könnte sie verschlanken, indem man in den bestehenden Abläufen unnötig gewordene Schritte entfernt. Man könnte der Raupe Rückenwind geben oder ihr sogar Rollschuhe verpassen. Dies würde man ermöglichen, indem man dafür sorgt, dass die Prozesse unabhängig voneinander arbeiten oder durch Teilautomatisierungen schneller durchlaufen werden können. Diese Einzeloptimierungen sind aber einer der größten Fehler, die in den Digitalisierungsbemühungen gemacht werden. Es kommt nicht darauf an, die bestehenden Raupenprozesse etwas zu optimieren. Dies kann in Einzelfällen sogar den gegenteiligen Effekt auslösen. Stellen Sie sich nur einmal vor, wenn eine Raupe mit ihren 16 Füßen tatsächlich 16 Rollschuhe angeschnallt bekäme. Mal davon abgesehen, dass es kostenintensiv ist, so erfordert es eine wahnsinnige Koordinationsarbeit, damit die Raupe durch diese Optimierung tatsächlich schneller vorankommt als vorher. Es muss das Ziel sein, die Raupe so zu entwickeln, dass aus ihr ein Schmetterling wird. Dazu ist es notwendig einen ganzheitlichen Blick auf den Prozess zu werfen und sich Gedanken darüber zu machen, was eigentlich erreicht werden soll und wie die modernen Techniken hierbei eine Unterstützung sein kann. Wenn die Technik den Anwender unterstützt und die Arbeit abnimmt, wenn die Technik dem Management die notwendigen Zahlen liefert, um entscheidungsfähig zu sein, wenn die Prozesse skalierbar und zuverlässig sind, dann gelingt die digitale Transformation.
Artikel
Jochen Zimmermann, 20.08.2020
Quellen
1 taz: Schlussverkauf beim alten Perso
2 dieprojektmanager: Scheitern von IT-Projekten